Wo drückt der Schuh?
Fabian Stiepel ist professioneller Schuhfitter. Zusammen mit Rennserviceleiter Hans Hofer und Materialexperte Manfred Rogetzer bildet er bei Bründl Sports das magische Dreieck des Wintersports.
An der Wand seiner Werkstatt hängt ein Scheck von der Größe eines Handtuchs. 60.000 Euro steht im Zahlenfeld. Es ist das Preisgeld, das die finnische Rennläuferin Tanja Poutiainen vor ein paar Jahren beim Riesenslalom in Zagreb gewonnen hat. Ein Triumph auch des Skischuhfitters Fabian Stiepel, der, als der Finnin die Schale ihres Schuhs riss, in einer Nacht- und Nebelaktion schnell noch einen Ersatzstiefel an den Fuß modelliert hatte.
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MehrwissenWenn andere auf dem Siegertreppchen stehen, ist Fabian schon wieder die Stufen hinabgestiegen, ins Souterrain des Flagshipstores. Als Teil des Racing-Service-Teams sorgt er bei Bründl Sports dafür, dass Skiläufer aller Klassen einen Schuh tragen, der wie angegossen sitzt – und die Kraft optimal auf den Ski überträgt.
Was hat der 30-Jährige im Laufe seiner Karriere nicht schon alles gesehen: gequetschte Zehen, malträtierte Kahnbeine, lädierte Außen- und Innenknöchel, Hallux in allen Variationen. Fabian sagt: „Wer einen Skiunfall gehabt hat, geht zum Arzt. Wer mit schmerzverzerrtem Gesicht zu uns in die Abteilung humpelt, den drückt meist nur der Schuh.“ Ein professioneller Rennläufer beißt die Zähne zusammen, in eineinhalb, zwei Minuten ist die Messe gelesen. Wo es um jede Hundertstelsekunde geht, darf der Athlet nicht ins Schwimmen kommen; Schale und Innenschuh umspannen den Fuß deshalb wie die aufgepumpte Manschette eines Blutdruckmessgeräts den Oberarm. Anders beim Winterfrischler: Er ist den ganzen Tag auf der Piste, bei ihm geht es um eine gepflegte Passform, um möglichst hohen Tragekomfort. Die Kunst besteht darin, die richtige Balance zu finden zwischen Freiraum und Engegefühl. Zu viel Luft lässt den Fahrer die Kontrolle über seinen Ski verlieren, zu wenig macht ihn früher oder später zum Fall für den Orthopäden.
Fabian darf die Fußstellung nicht verändern, er ist kein Mediziner. Aber er unterstützt den Fuß, damit sich der Druck gleichmäßig und sanft über den Schuh verteilt. Dazu stehen ihm und seinen Kollegen der kleine Raum im Untergeschoss zur Verfügung, der klassische Schuhmacher-Werkstatt und Hightech-Labor in einem ist. Hier und draußen im Verkauf findet sich alles, was das Schuhfitter-Herz begehrt: Schläuche, durch die der Schaum in den Schuh geblasen wird, Zweikomponentenkleber, Heizfön, Skischuhofen, Skischuhaufspanngerät, eine Apparatur zum Sohlencanting, Druckluftsocken, aber auch gemeine Schraubzwingen, Hammer und Ausdrucksformen aus Holz und Metall. Erlaubt ist, was zu einer harmonischen Einheit von Schuh und Fuß führt. Und natürlich ist bei aller maschinellen Hilfestellung auch handwerkliches Feingefühl gefordert. Etwa wenn Fabi, wie sie ihn nennen, sich mit den Fingern ins Innere eines Modells vortastet, auf der Suche nach den neuralgischen Stellen.
Viele der Kniffe hat er sich selbst beigebracht, während der Lehre im Sportfachhandel, auch wenn seine „chirurgischen“ Experimente das eine oder andere Paar Schuhe verschlissen hat. Später ging es freilich darum, das Wissen zu verfeinern: auf Herstellerseite in Italien, bei einem Schuhfitter in den Staaten - und im Masters Course of Education.
Dass der gebürtige Wuppertaler dem Rennzirkus entsagt und der Welt zugunsten Kapruns den Rücken gekehrt hat, spricht für Bründl. Das Unternehmen versteht es, die besten Talente um sich zu scharen. Zusammen mit dem ehemaligen Profirennläufer Hans Hofer und Manni Rogetzer, Shopleiter des Hauptgeschäfts in Kaprun, bildet er das magische Dreieck des Wintersports: Ski, Schuh und Materialbeschaffung aus Profihand, perfekt aufeinander abgestimmt. Was Fabian angeht, danken es ihm die Kunden auf ihre Weise. In Sotchi haben zwei Athleten Gold und Bronze bei den Snowboard-Wettbewerben im Parallel-Slalom und -Riesenslalom geholt, nachdem der Schuhfitter sich ihres Materials angenommen hat. Und von den Gelegenheitsskifahrern gibt es zum Zeichen der Anerkennung immer wieder mal ein schönes Trinkgeld und kleine Gefälligkeiten. Schon klar: „Druck“ kann keiner gebrauchen. Schon gar nicht im Urlaub.